Erdöl war gestern, was kommt morgen?

Potsdamer Forschende entwickeln regionale Zukunftsstrategien für die bioökonomische Wende Das Ziel ist nichts Geringeres als der Umbau des Wirtschaftssystems. Künftig wird sich unsere Ökonomie nicht mehr auf fossile Träger, sondern auf nachwachsende Ressourcen stützen. Auf dem Weg dorthin gibt es viel Redebedarf. Potsdamer Wissenschaftler untersuchen, wie Akteure auf der regionalen Ebene zueinander finden, um erfolgreich in der Bioökonomie anzukommen.

Wenn man das Büro von Dr. Edzard Weber betritt, fühlt man sich ein wenig in die eigene Kindheit zurückversetzt. „Das traut sich zwar niemand zu sagen, aber es ist genau das, was ich hören möchte“, sagt der Wirtschaftsinformatiker. Auf den Tischen ist es bunt: Tierfiguren aus Holz und Gummi, Papier in allen Farben, Kärtchen mit Pflanzenbildern, Wolle und jede Menge Bastelmaterial liegen hier bereit. Es sind Arbeitsutensilien für Workshops, die Weber gemeinsam mit dem Biologie-Doktoranden Björn Huwe vom Wissenschaftsladen Potsdam entwickelt. „In den frühen Lebensjahren haben wir unsere Welt alle haptisch modelliert und begriffen, bis wir es in Schule und Studium durch abstrahierendere Fachmethoden und -sprachen weitestgehend ersetzt haben“, erklärt der Wissenschaftler. Das haptische Prinzip möchte er in die Welt der Erwachsenen zurückholen, um komplexere Fragen und Probleme zu bearbeiten, die allein durch Worte schwierig zu vermitteln sind.

„Es ist eine Sprache, die jeder sofort verstehen kann“, sagt Weber und nimmt ein kleines Tier aus Plastik in die Hand. „Und zwar unabhängig vom beruflichen oder sozialen Hintergrund.“ Die Teilnehmenden seiner Workshops kommen aus brandenburgischen Gemeinden, es sind Landwirte und Lehrer, Vertreter aus der Verwaltung und dem Einzelhandel oder auch von Umweltorganisationen. Anfassen, schneiden, falten, anordnen, bauen und im wahrsten Sinne des Wortes „begreifen“ – das alles ist hier ausdrücklich erwünscht. Es geht um neue Zukunftsstrategien, um Leitbilder, Visionen und Chancen für die Gemeinden – und vor allem darum, wie der Umbau der Wirtschaft hin zu einer Bioökonomie gelingen kann, die sich von fossilen Rohstoffen verabschiedet und stattdessen auf nachwachsende Ressourcen baut.

„DiReBio“ heißt das vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt, das den gesellschaftlichen Diskurs zum anstehenden Wandel in der Wirtschaft mit neuen Instrumenten vorantreiben will. Drei Kooperationspartner tragen DiReBio: das Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. (ATB), der Wissenschaftsladen Potsdam e.V. und die Universität Potsdam.

„Szenarienmodellierung“ nennen Weber und Huwe die Methode, mit der sie ihre Workshopteilnehmer dazu bringen, ihre Region bildhaft darzustellen, zu analysieren und schließlich vielversprechende Zukunftsvisionen zu erarbeiten. Die anfängliche Zurückhaltung weicht rasch einem konzentrierten Arbeiten. „Nach den ersten zwei, drei Minuten herrscht pure Glückseligkeit“, sagt Edzard Weber über die ersten Testläufe. Am Ende dieser ersten Phase steht ein Modell der Region, das sämtliche wichtigen Merkmale abbildet und auf einen Blick begreifbar macht: Welche Infrastruktur ist vorhanden? Welche Industrie- und Wirtschaftszweige gibt es? Welche Rohstoffe und Ressourcen sind in der Umgebung vorhanden? Dieses Ausgangsszenario ist die Grundlage für den folgenden Arbeitsschritt, in dem die Teilnehmenden Konzepte dafür entwickeln, wie ihre Gemeinden in der Bioökonomie ankommen und bestehen können.

Insektenzuchtanlagen als Proteinquelle für Futtermittel, Mikroalgenfarmen für Bioethanol oder Dämmmaterial aus Hanffasern – die Möglichkeiten der biobasierten Wertschöpfungen sind vielfältig. Die Forscherinnen und Forscher der drei Kooperationspartner vermitteln in kurzen Impulsvorträgen, was alles machbar ist. Was davon am besten für die jeweilige Region geeignet ist, diskutieren die Akteure intensiv mithilfe der physischen Modelle. Ihre Erkenntnisse und Visionen tragen sie in ihre Gemeinden, wo der wirtschaftliche Wandel schließlich umgesetzt werden muss.

Den Bogen von der Theorie zur Praxis schlägt der Wissenschaftsladen Potsdam e.V., der auf dem Gelände des freiLand-Kulturzentrums angesiedelt ist. Hier, in der bioPunk.kitchen, die wie ein Biotechnologielabor im Miniaturformat eingerichtet ist, gibt es Bioökonomie zum Ausprobieren und Anfassen. „Biologie-Küche“ nennt Björn Huwe den Experimentierraum, der extra für DiReBio entwickelt wurde. Ein selbstkonstruierter Klimaschrank für Algen-, Pilz- oder Bakterienkulturen, eine Mini-Reinluftbank und ein Autoklav für keimfreies Arbeiten, zahllose Gläschen, Kolben, Pipetten und Werkzeug für biotechnologische Experimente warten hier auf Ideen und ihre Umsetzung. Das mobile Labor kann auch verreisen und an jedem möglichen Ort eingesetzt werden – etwa in Schulen.

Vor allem für Kinder und Jugendliche ist der Experimentierraum gedacht. Sie sollen sich selbst Gedanken darüber machen, wie Produkte der Bioökonomie aussehen und vermarktet werden können. „Wir entwickeln neue Lernformate und machen Bioökonomie erlebbar und erfahrbar“, erklärt Huwe. Innovative Ideen sind eine Voraussetzung, um die Wirtschaft erfolgreich zu transformieren. Eine weitere ist das Wissen darum, wie biobasierte Materialien verarbeitet und entwickelt werden können. Beides soll hier vorangebracht werden.

Eines der ersten Ergebnisse aus der bioPunk.kitchen besteht aus Holz, Kaffeesatz und Pilzen. Das Material ist fest, gleichzeitig leicht und lässt sich in jede erdenkliche Form bringen. Für Festigkeit sorgen die Pilzhyphen, die Holz- und Kaffeepartikel durchwachsen haben und wie Klebstoff aneinanderbinden. Vielleicht steht diesem Produkt als Baustoff oder Dämmmaterial eine große Zukunft bevor.

„Bioökonomie beginnt vor der Haustür“, erklärt Edzard Weber. Es sei wichtig, dass die Menschen die Veränderungen nicht nur akzeptieren, sondern sie auch als große Chance begreifen, die es zu nutzen gilt.

An jedem dritten Montag im Monat sendet das Freie Radio Potsdam (http://frrapo.de/player) in Zusammenarbeit mit DiReBio um 16 Uhr eine Sendung zum Thema Bioökonomie mit Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft.

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal – Eins 2020 „Bioökonomie“.